Wir fotografieren und posten jeden Moment. Damit enden unsere Erzählungen, so die These von Roberto Simanowski in seinem neuen Buch Facebook-Gesellschaft. Die permanente Transparenz steht dem Geheimnis diametral entgegen. In der Ausstellung GEHEIMNIS wird ab September dazu mehr zu sehen sein. Dagegen nicht mehr geheim ist das Internet in Kuba – es wird analog gedealt. Und wenn wir denken, dass die Briten blöd sind, sagt das mehr über uns aus, als über sie.
Im #netbeat findet ihr wie immer die besten Links aus Netzpolitik, Kultur, Medien, digitaler Bildung, Politik und Zeitgeschichte. Diese Woche zusammengestellt von Tim Holland
Mit dem Internet dealen, analog
Kuba ist auf! Importierte Autos. Embargoerleichterungen. Im März war Obama da. Jetzt kommt das Internet nach Kuba. Aber wie? Es gibt in Kuba nur einen der Medien anbietet: Der Staat. Der Staat strahlt das Fernsehen aus und anerkennt Zeitungen und Zeitschriften. Es gibt kaum bis keinen Internetempfang. Wie kommt man also an die neue Game of Thrones Staffel, überhaupt an News, an Internet? Es wird gedealt, illegal, analog. Als „El Paquete Semanal“ („Das wöchentliches Packet“) wird es auf einer Festplatte herumgereicht. Auf einem Terabyte finden sich Hollywoodstreifen, Apps und unabhängige spanischsprachige Zeitungen. Ein Distributionssystem von kleinen Läden hat sich entwickelt. So kann man Netflix oder Spotify abonnieren, en el arte cubano.
Das Geheimnis: Staat & Politik from kooperative-berlin on Vimeo.
Psssst, das ist geheim!
Wir erinnern uns: Im Februar 2015 veröffentlichte Netzpolitik.org interne Dokumente des Verfassungsschutzes zum Ausbau der Überwachung im Internet. Hans-Georg Maaßen, Präsident des Inlandsgeheimdienstes, erstattete Strafanzeige, der damalige Generalbundesstaatsanwalt Harald Runge nahm die Ermittlungen auf. Am 30. Juli trat Netzpolitik.org an die Öffentlichkeit. Es folgte ein medialer Aufschrei: #Landesverrat! Einschränkung der Pressefreiheit! Das Ereignis jährt sich in diesen Tagen. (Chronik zum nachlesen hier)
Welches Geheimnis muss Geheimnis bleiben? Konstantin von Notz (MdB/Grüne, Obmann im NSA-Untersuchungsausschuss) glaubt an ein „Ablaufdatum von staatlichen Geheimnissen“. Die „maximale Intransparenz“ der TTIP-Verhandlungen habe dem Prozess geschadet. Die Verschleierung von schwierigen Gesetzesdiskussionen während Fußball Welt- und Europameisterschaften – wie es dieser Tage mit dem Antiterrorgesetz der Fall ist – sprechen eine andere Sprache. Sind wir also doch keine Transparenzgesellschaft? Warum brauchen wir Geheimnisse?
GEHEIMNIS – EIN GESELLSCHAFTLICHES PHÄNOMEN ist eine Ausstellung der Nemetschek Stiftung, die die Kooperative Berlin umgesetzt hat.
Ab dem 29. September 2016 ist die Ausstellung in der whitebox München zu sehen. #geheimnis16
Buchtipp! – Die Facebook-Gesellschaft beendet die Erzählungen
Wer übers Internet und soziale Netzwerke schreibt, der bedient sich in der Regel einer mittlerweile standartisierten Liste an Vorwürfen: „Kapitalisierung der Gefühle, Kommerzialisierung der Kommunikation, Selbstvermarktung und Selbstüberwachung, Narzissmusschmiede, Banalitätenclub, Zeitverschwendung…“ – nennt Roberto Simanowski davon. Der Literatur- und Medienwissenschaftler mit Lehrstuhl für „Digital Media Studies“ und „Digital Humanities“ in Hongkong, hat sich schon in den letzten Jahren an der digitalen Welt abgearbeitet. In seinem neuen Buch geht er über die tradierte Wehklagerei hinaus. Wohltuend, dass einmal eine Diskussion über das Medium nicht genauso dickschädelig geführt wird wie viele Diskussionen darin, bemerkt auch Kristoffer Cornils in seiner lesenswerten Rezension. Denn es geht um das Ende aller Erzählungen: Wenn wir mit der permanenten Fotografiererei und Live-Videos jeden Moment fixieren, vernichten wir am Ende die Gegenwart. Jedoch steckt Simanowski bei dieser Erkenntnis nicht den Kopf in den Sand, sondern ruft zum Denken auf: Wir sind hier angelangt, was machen wir jetzt? Lesenswert!
„What is the EU?“ – Wissen wir doch!
Nach dem Brexit ging ein Artikel viral: Die Briten googlen wie wahnsinnig, was diese EU ist. Blöde Briten. Aber so blöde sind die gar nicht. Wir waren beleidigt, verletzt, besorgt, dass die Inselbewohner gar nicht wissen, in welchem exklusiven Club sie die letzten Jahre waren. Denn: nicht nur, dass die eigentliche Suchanfrage anders lautete („What happens if we leave the EU“), sondern der Google-Tweet, der die Washington Post zu diesem Artikel bewegte, basiert auf Zahlen, die im digitalen Raum kaum von Belang sind. Hier wird herausgearbeitet wie viele tatsächlich die Suchmaschine fragten: weniger als 1.000. Das können Grundschüler, Touristen oder sonst unpoltisch agierende Gruppen sein, ist aber kaum eine Meldung wert. Wir empören uns eben gerne über das, was wir glauben wollen.
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