Vergangene Woche haben Wissenschaftler, Politiker und Vertreter der Zivilgesellschaft den Erhalt und die Reformation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gefordert. Zu den Erstunterzeichnern des offenen Briefs an die Ministerpräsident_innen und Mitgliedern der Rundfunkkommission zählen auch die Gründer der KOOPERATIVE BERLIN: Oliver Baumann-Gibbon und Markus Heidmeier. Ein Interview:
Markus, wie ist es zu den 10 Thesen zur Zukunft der öffentlich-rechtlichen Medien gekommen?
Markus Heidmeier: “Ich glaube, alle, die sich mit der Medienlandschaft beschäftigen, beobachten in den letzten Jahren eine zunehmende Aggression gegenüber dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk bzw. den de facto öffentlich-rechtlichen Medien. Es gibt dafür auch eine ganze Menge nachvollziehbarer Gründe.”
Zum Beispiel?
MH: “Da wären die hohen Investitionen in Sportrechte, die ja sehr umstritten sind.
Es gibt verhältnismäßig viele Doppelstrukturen in den Öffentlich-Rechtlichen. Zum Beispiel die föderale Struktur bei der ARD mit sehr vielen Radioprogrammen. Das hat zwar viele sehr nachvollziehbare Gründe – historische, regionale Bedürfnisse etc. – , leuchtet aber vielen nicht auf den ersten Blick ein.
Und natürlich müssen auch die Öffentlich-Rechtlichen, um Reichweiten zu erzielen – und Reichweiten heißt letztendlich Menschen zu erreichen – sehr populäre Programme machen. Das finde ich absolut berechtigt. In TV-Serien oder Samstagsabendshows lassen sich Themen wie gesellschaftliche Pluralität, durchlässige Gendergrenzen oder Homoehe ganz nebenbei erzählen. Conchita Wurst gewinnt den Eurovision Song Contest und hat ganz nebenbei ein Riesengenderthema platziert. Oder der schwule bzw. bisexuelle Tatortkommissar aus Berlin. Das ist keine beinharte Bildung aber trotzdem eine Art Volksaufklärung. Aber eben nicht mit dem Holzhammer der Pädagogik. Nur wird den Öffentlich-Rechtlichen dann vorgeworfen, sie seien zu populär. Da wird vorgeworfen, die Privaten zu imitieren.
Der brisanteste Punkt ist natürlich: Es gibt eine Haushaltsabgabe! Das ist eine Abgabe, der kann man sich als Haushalt nicht entziehen und auch das sehen viele kritisch. Ich könnte mir natürlich auch eine einkommensbezogene Abgabe vorstellen. Aber: Das ist nicht ganz so einfach, da sind wir plötzlich in der Welt der Steuern. Und das ist mit Blick auf die wichtige Staatsferne richtig schön kompliziert.
Aber die Abgabe ist natürlich ein schöner Hebel um Stimmung zu machen, die dann von Kräften wie PEGIDA, wie der AfD und anderen forciert wurde, um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk infrage stelle.
Naja. Kurz: Wir, die Autor_innen der Thesen, haben individuell über lange Zeit den Eindruck gewonnen: Nein! Die Debatte ist schräg, verzerrt. Wenige laute Forderungen nach Abschaffung übertönen die wichtige Frage nach der Weiterentwicklung und Innovation. Eins scheint uns nämlich sicher in zeiten von Fake News und Filterbubble: Wir brauchen einen – wenn auch stark reformierten – öffentlich-rechtlichen Rundfunk! Einen, der in der digitalen Gegenwart adäquate Angebote macht. Wir brauchen öffentlich-rechtliche Medien die ihren Auftrag Ernst nehmen UND vom Nutzer aus denken. Aber das heißt nicht zwangsläufig, dass die Strukturen schlanker werden oder die Haushaltsabgabe abgeschmolzen werden muss.”
Und wie sind die Thesen entstanden?
Wir als KOOPERATIVE BERLIN haben vor zwei Jahren auf der re:publica eigene zwölf Thesen vorgestellt, die an einigen Stellen auch noch etwas steiler waren. Gerade was das Thema Beteiligung an öffentlich-rechtlichen Budget für Dritte (NGOs etc.) und die Verteilung von Geldern angeht. Auch an freie Produzenten.
Und so bin ich damals von Volker Grassmuck und Tabea Rößner, die schon aktiv waren auf dem Feld, angesprochen worden.
Es kam ein Gesprächskreis zustande mit vielen Wissenschaftlern und dazu Vertretern von den Sendern, so wie Vertretern der Zivilgesellschaft – wie wir eben – die einfach erstmal diskutiert haben.
Das fing so vor anderthalb Jahren an, wir haben uns dazu dann in Abständen von sechs bis zehn Wochen getroffen und diskutiert: Was ist der Stand der Dinge? Wie schätzen wir die Lage ein? – Es war dann sehr schnell klar, es besteht eine Gefahr, dass der Eindruck entsteht, die öffentliche Meinung wäre mehrheitlich für eine starke Abschmelzung der Abgabe und eine starke Verschlankung der Strukturen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Dem wollten wir eine Position gegenüberstellen. Wir sind davon überzeugt, dass die Diskussion dringend nötig ist – ihrer ganzen Komplexität – mit allen Akteuren. ”
Warum habt ihr für euer Anliegen die Form als Thesen gewählt?
MH: “Wir haben verschiedene Modelle diskutiert, wie man Öffentlichkeit erzeugen könnte. Man muss sich klar machen: Wir sind kein handelnder Verein, kein Verband und keine Lobbyorganisation mit einer Geschäftsstelle, sondern wirklich nur ein Zusammenschluss von Individuen.
Wir in der Runde hatten überlegt, ob es möglich sein könnte eine Kampagne zu entwickeln, oder Werbung zu schalten, aber da fehlt einem Zusammenschluss von Privatpersonen erstmal einfach die Mittel und auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Auch über eine Veranstaltungsreihe mit Publikumsbeteiligung haben wir nachgedacht. Aber derartige Maßnahmen auch dies zieht einen großen Aufwand und lange Prozesse mit sich. Wir haben etwas ähnliches als Kooperative ja gerade beim Konsultationsverfahren der Länder zum Telemedienauftrag eingebracht. Unsere Roadshow mit dem Titel: Das öffentlich-rechtliche Paradies ist digital.
Deshalb haben wir gesagt: Ok, erst mal ist es entscheidend im Umfeld der Beratungen der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten sichtbar zu machen, dass es eine andere Position gibt. Und zwar eine starke Position. Ich würde fast sagen, es ist die Mehrheitsposition, aber das ist natürlich schwer zu belegen. Die wollten wir in den Diskurs einbringen.
Thesen sind ein guter Ausgangspunkt für eine Diskussion, die wir anstoßen wollen. Ein Anfang! Wir wollen die vorhandene Diskussion stark verändern. Wir wollen sie wegnehmen von dieser Dichotomie von “dafür oder abschalten”. Wir wollen sagen: Nein, es geht um Reformen, Veränderungen und eine Weiterentwicklung! Und diese Thesen sollen ein Ausgangspunkt für eine solche Diskussion sein.”
Wie kamen dann die Thesen zu Stande? Was war deine Rolle in diesem Prozess?
MH: “Ich habe wie alle anderen in der Runde Input geliefert zu den Thesen. Kooperativ zu schreiben ist in so einer Gruppe aber immer herausfordernd. Wir haben anfangs mit allen ein Dokument gemeinsam gepflegt, das immer wieder von allen mit Kommentaren versehen wurde. In der finalen Phase haben wir die Thesen aufgeteilt und Kleingruppen gebildet, die sich jeweils mit einer These befasst haben. Ich war an der These zu den Plattformen beteiligt. Aber das geht alles zurück auf Input aus den diskursiven Runden zuvor. Als KOOPERATIVE BERLIN haben wir zusätzlich die Website beigesteuert. Als Spende sozusagen. Abert die Website ist ja auch nicht gerade komplex. An dieser Stelle des Interviews muss ich glaube ich sagen: “das war keine Rocket Science”. Das sagt man ja in der Medienwelt zu allen unterkomplexen Vorhaben…”
Welche der Thesen ist dir persönlich am wichtigsten?
MH: “Es fällt mir sehr schwer eine These zu exponieren. Ich persönlich sehe natürlich die Notwendigkeit den Onlineauftritt der Sender stark zu verändern – aber das ist auch keine Kunst. Auch zu lasten vorhandener Angebote. Ich glaube nur das wird die Überlebensfähigkeit der öffentlich rechtlichen sichern. Das bedeutet auch das Dinge wie die 7 Tage Löschfristen aufgehoben werden müssen, etc. Und ich glaube auch, dass der Gedanke der Plattformen von den Öffentlich-Rechtlichen noch viel tiefer erkannt werden muss. Dass sie nicht nur Plattformen nutzen, um ihre Angebote zu verbreiten – das halte ich für extrem wichtig – sondern auch selber eine adäquate Plattform anbieten, auf der sie Content platzieren, der einen Public Value hat. Also Inhalte anbieten, die öffentlich produziert wurden und die von öffentlichem Interesse sind. Das betrifft auch Stiftungen, Museen, Archive …”
Und wünscht du dir für die weitere Diskussion um die öffentlich-rechtlichen? Wie müsste es jetzt weitergehen?
MH: “Ich hoffe sehr, dass der Adressat des öffentlichen Briefs, also die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten, das Zeichen wahrgenommen haben. Ich habe den starken Eindruck, dass es uns gelungen ist, zumindest in der Fachöffentlichkeit die Diskussion zu beeinflussen und einen Impuls zu geben. In allen Branchenmagazinen und vielen Medien wie Welt, Tagesspiegel oder Focus wurden die Thesen veröffentlicht. Und ich hoffe, dass wir jetzt tatsächlich eine Debatte bekommen, die absolut notwendig ist. Die wird auch schmerzhaft. Das muss man sich ganz klar machen. Die wird für die Öffentlich-Rechtlichen sehr schmerzhaft. Denn sie wird nicht bei kosmetischen Veränderungen bleiben können. Wenn wir substanziell nicht nur die Öffentlich-Rechtlichen retten wollen, um sie zu retten, sondern um ihren Auftrag, und seine Umsetzung zu sichern – das ist ja was ganz anderes – dann werden sie sich sehr stark verändern müssen. Die Strukturen in den Häusern werden sich verändern müssen und man wird nach Synergien suchen müssen. Außerdem braucht es, glaube ich, eine Vision was es heißt im digitalen Raum öffentlich-rechtlich zu arbeiten. Und die sehe ich momentan nicht wirklich.
Aber was viel, viel wichtiger ist: Wir müssen die richtig jungen Leute in das Thema reinziehen. Und der kalte Bürgerkrieg zwischen den Öffentlich-Rechtlichen und den Verlagen muss aufhören…”
Vielen Dank Markus
Interview: Freerk Sitter
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