Wir haben uns für funk ein Jahr lang in die Tiefen des Trollservers begeben und konnten Einblicke in Vernetzung und Strategien rechter Medienaktivist*innen in Deutschland gewinnen. Herausgekommen ist der Film Lösch dich! So organisiert ist der Hass im Netz. Die Doku erschien Ende April diesen Jahres.
Am 19. November hat der Film für die Recherche den Otto-Brenner-Preis gewonnen. Zeit mit Patrick Stegemann zu sprechen, dem Autor der Doku.

Die Jury verlieh dem Team um den YouTuber Rayk Anders und den Journalisten Patrick Stegemann den dritten Preis und bezeichnet den Film als „einen Musterfall von eingreifender Recherche und jungem Internet-Fernsehen, das das Interesse von Politikmuffeln für Politik wieder weckt“.
Der Otto-Brenner-Preis wurde in diesem Jahr zum 14. Mal vergeben und stand unter dem Motto: „Kritischer Journalismus – Gründliche Recherche statt bestellter Wahrheiten“.

Doch worum geht es eigentlich? Die Doku zeigt, wie sich Mitglieder des Troll-Netzwerks Reconquista Germanica im Netz absprechen, um Wellen von Hass-Kommentaren gegen bestimmte Seiten und Personen zu starten.
Das Ziel von ihnen: Einfluss nehmen und Diskurse prägen mithilfe von tausenden Nutzer*innenkonten, die gezielt und abgesprochen für Unruhe auf Twitter, YouTube und Facebook sorgen.
Ihr Vorgehen: Gesellschaftliche Mehrheiten simulieren, die politische Willensbildung manipulieren und eine breite nationalistische Bewegung vorgaukeln, die in verschiedene Richtungen anschlussfähig ist.

Seit der Erstausstrahlung sind knapp sieben Monate vergangen.
Im Interview spricht Patrick Stegemann über digitale Meinungsbildung, bürgerliches Engagement und Webformatkritiker*innen.

Hi Patrick,
hast du mit den Reaktionen auf die Doku gerechnet?

Es gibt ja zwei Reaktionen: Die Bubble rund um die Trolle und rechten Infokrieger*innen hat genau so reagiert, wie wir es erwartet haben: Mit Hass, Häme, Halbwahrheiten – verbreitet über YouTube und Twitter. Daneben gibt es – immer noch – eine ziemlich lebendige Diskussion. Mit Lob, aber natürlich auch Kritik. Diese Debatten, die ja nach Erscheinen des Films auch medial sehr intensiv geführt wurden, sind der eigentliche Gewinn.

Und dass wir jetzt, mehr als ein halbes Jahr nach Erscheinen des Films, soviel positives Feedback bekommen und Preise damit gewinnen, das freut uns natürlich. Vor allem, weil es zeigt, wie wichtig diese Themen der digitalen Meinungsbildung sind. Und dass man auch das Genre der Politdoku neu und attraktiv machen kann.

Jan Böhmermann hat in seiner Sendung die Erkenntnisse aus „Lösch dich“ aufgenommen. Was hälst du von der aus dem Format entstandenen Gegenbewegung Reconquista Internet, die das Ziel hat, mit konzentrierten Aktionen verletzenden, beleidigenden und volksverhetzenden Äußerungen radikaler Netzaktivist*innen mit Vernunft und Anstand zu begegnen? Ihr habt es im kleinen Rahmen selbst versucht und seid gescheitert.
Hältst du es trotzdem für eine gute Methode Hass im Netz zu entgegnen?

Erst einmal finde ich großartig, was Reconquista Internet gemacht hat. Einmal aus Sicht des Films: Es hat den Bogen geschlossen, indem es den aktivistischen Überschwang, den unser Film auch erzählt, umsetzt.
Mittlerweile hat sich Reconquista Internet vom reinen Liebestrollen größtenteils verabschiedet und sich eher zu etwas wie einer NGO der digitalen Meinungsbildung entwickelt. Davon kann es gar nicht genug geben: Wir haben gesellschaftlich noch gar nicht genug verstanden, wie tiefgreifend der Wandel der Mediengesellschaft durch soziale Medien ist. Und dass es da eben auch sowas altbackenes braucht wie bürgerschaftliches Engagement. Und genau das ist Reconquista Internet ja.

Wieso sind rechte Kräfte besonders erfolgreich mit der Strategie des Hates und des Trollings?

Das hat viele Gründe auf verschiedenen Ebenen. Zunächst: Kräfte der extremen Rechten haben ein Gesellschaftsbild, das sehr stark auf Kampf, Konflikt und Freund-Feind-Logik basiert. Diese ideologischen Versatzstücke kombiniert mit der Idee, das man selbst Opfer und marginalisiert ist, führen zu einer Haltung und einem Weltbild, die Hass und Hetze zu legitimen Mittel der politischen Auseinandersetzung werden lassen. Anders gesagt: Demokratischen Akteur*innen stehen diese Mittel schlicht nicht zur Verfügung.
Und dann kommt die Funktionsweise der Plattformen hinzu: YouTube und Facebook verkaufen Werbung. Das ist ihre Aufgabe, ihr Ziel. Und dafür brauchen sie Aufmerksamkeit, die sich sehr leicht und intensiv über negative Gefühle organisieren lässt. Das führt in der Tendenz dazu, dass Hass und Hetze sich sehr leicht über diese Plattformen vertreiben lassen. Weil sie dem Kalkül der Netzwerke entsprechen, Emotionen und Aufmerksamkeit zu produzieren.

Wie hoch schätzt du die Rolle der sozialen Medien für die politische Arbeit ein? Wird sich in Zukunft dort entscheiden, wie die Wahlergebnisse ausfallen? Ist Trolling der Wahlkampf der Zukunft?

Wir sehen gerade überall, wie wichtig soziale Medien im Wahlkampf werden: In Brasilien war der Einfluss von WhatsApp-Gruppen auf den Wahlsieg des extrem rechten Jair Bolsonaro ein wichtiges Thema. In den USA werden noch heute Details darüber enthüllt, wie groß der Einfluss russischer Kräfte auf den Wahlkampf über soziale Medien war.

Wir sehen also den Einfluss sozialer Medien natürlich auch im Wahlkampf. Schlicht, weil soziale Medien im Leben der Menschen eine riesige Rolle spielen. Unsere Realität ist schon längst social.

Deswegen sollten wir auch vorsichtig sein mit solchen Aussagen wie: Das passiert nur im Internet oder in den sozialen Netzwerken. Denn in Wahrheit spiegelt sich das sogenannte Digitale im angeblich Analogen und andersherum. Das alles ist ja längst gemeinsam unsere politische und gesellschaftliche Realität.

Denkst du, dass die (sozialen) Medien in Deutschland die Politik in Zukunft ebenso beeinflussen können, wie es in Amerika bereits der Fall ist?

Die deutsche Öffentlichkeit funktioniert schon sehr anders: Wir haben beispielsweise starke öffentlich-rechtliche Medien, denen die Menschen konstant und mit riesiger Mehrheit vertrauen.

Aber klar: Gesellschaftliche Megatrends schlagen auch hier durch. Da kommen spannende Jahre auf uns zu, was die politische Dimension sozialer Medien anbelangt.

Wenn du sagst, das Thema ist weiterhin interessant: Arbeitest du auch weiter daran?

Klar, auch für mich bleibt das Thema interessant. Und ich wundere mich auch immer darüber, dass die Funktionsweisen der Plattformen und die Inhalte auf ihnen so wenig Beachtung unter deutschen Journalist*innen finden. Es gibt keine YouTube-Kritiker*innen oder so etwas, während Inhalte des traditionellen Fernsehens immer noch massenweise z.B. in Zeitungen besprochen werden. Wir brauchen sowas wie eine kundige Medienkritik, die vor allem auf YouTube, Facebook und Instagram blickt. Da hab ich Bock drauf.

Ihr habt die Doku noch gar nicht gesehen? Hier könnt ihr sie euch anschauen.

Außerdem ist Lösch dich! für den Deutschen Reporterpreis 2018 und den Webvideopreis nominiert. Hier könnt ihr für die Doku beim Webvideopreis voten.


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