Von Fabian Mirau
Generiere deinen Content in Sekunden – Das Versprechen des Stuttgarter Unternehmens AX Semantics, den klassischen Journalismus in Zeiten von Big Data zu revolutionieren, ist seit Jahren so spannend wie beängstigend. Welchem Journalisten lief nicht unmittelbar kalter Angstschweiß über den Rücken, wenn er hörte, dass in Zukunft künstliche Intelligenz seine Arbeit machen kann? Und das auch noch innerhalb weniger Sekunden, mit einer riesigen Wissensdatenbank im Rücken, die ein Mensch allein niemals bewältigen könnte. Ist die Angst heute bestätigt?
Roboterjournalismus, das vollautomatisierte Verfassen von Texten mit journalistischem Anspruch allein durch Software, etabliert sich nun schon seit einiger Zeit immer tiefer in der Medienwelt. Individuelle Wetterberichte, abhängig von Wohnort, Interessen und Lebenssituation des Lesers, aktuelle Aktienkurse oder regionale Fußballergebnisse vom Verein um die Ecke, geschrieben von Bots, gibt es schon. Die Nachrichten- und Presseagentur Associated Press etwa lässt täglich tausende Texte automatisiert erstellen. Die Unterschiede zu handgeschriebenen Artikeln sind meist kaum zu erkennen.
1) Laut Facebook-Seite „iamwaynestatic“ ist Rockstar Wayne Static im Alter von nur 48 Jahren auf tragische Weise ums Leben gekommen. Todeszeitpunkt soll der 1. November gewesen sein, vermutlich starb er an einer Überdosis.
2) Große Trauer in der Metal-Szene. Wayne Static, der jahrelang Sänger der Band Static-X war, ist im Alter von nur 48 Jahren verstorben. Als Todesursache wird eine Überdosis vermutet.
Text 1 stammt von einem Roboter, Text 2 wurde von einem Menschen verfasst.
Wozu braucht eine Redaktion dann eigentlich noch Redakteure, wenn Software viel genauer und schneller arbeiten kann? Wie auch fast überall sonst gilt: Auch vor dem Handwerk des Journalismus macht die digitale Transformation nicht halt. Maschinen sind dafür da, menschliche Arbeit zu entlasten. Für Redaktionen würde das heißen: Das lästige Abtippen von Aktienkursen gerne automatisiert von Software produzieren lassen. Aufwendig recherchierte Investigativarbeit aber bitte immer noch per Hand schreiben. Lästige Routine fällt also weg, es bleibt mehr Zeit für echten Journalismus. Ein emotionsgeladener, vielleicht sarkastischer oder humorvoller Meinungsbeitrag über die Kanzlerkandidatur der SPD etwa würde beim Leser ohnehin eher Unbehagen statt Glaubwürdigkeit auslösen.
Ähnlich sinnvoll ist automatisierter Journalismus, so AX Semantics-CEO Saim Alkan auf einer Podiumsdiskussion der Internet und Gesellschaft Collaboratory, um kleine Textbausteine in großen Artikeln zu personalisieren. Ein Textbeitrag zur Arbeitslosenquote in Deutschland etwa, der zusätzlich je nach Wohnort des Lesers die Arbeitslosenquote in der eigenen Region anzeigt.
.@saimalkan sagt wie es ist – roboterjournalismus wird effizient aber niemals empathisch. Großartige journalisten werden gebraucht #algonews
— Rasmus Fuhrmann (@rasmusfury) December 6, 2016
Und auch für den „echten“ Journalismus, der wohl niemals vollkommen automatisiert stattfinden wird, gibt es Anwendungen, die mit Big Data dem Redakteur von morgen zur Seite stehen wollen. Das News Stream-Forschungsprojekt von Fraunhofer IAIS, Deutsche Welle, neofonie und dpa etwa soll riesige Datenmengen aus Social Media, Blogs, Videos und Medianarchiven in Echtzeit bündeln und zur Verfügung stellen. Hilfreich beispielsweise, um ein Zitat zu suchen, den Ursprung einer Meldung zu ermitteln, zu sehen, wann und wo zu einem bestimmten Thema berichtet wird, Social Media Trends zu erkennen oder O-Töne anzuzeigen.
Algorithmen und Big Data sind für den Journalismus also gar keine so große Bedrohung, sondern eher eine Chance. Softwarebasierte Hilfe bei der Recherche etwa kann im Ergebnis eine Bereicherung sein und einen deutlichen Qualitätsschub erreichen. Und vollkommen automatisierter Roboterjournalismus entlastet in Zukunft gegebenenfalls zahlreiche Redaktionen mit begrenzten Kapazitäten, spart vielleicht sogar an einigen Ecken Geld und macht die Kostenloskultur des digitalen Journalismus am Ende sogar profitabel.
Tags: Recherche, Roboterjournalismus, Automatisiert, Rewdaktion
Would you like to share your thoughts?